Je ne puis contempler un sourire sans y lire:
‚Regarde-moi! c’est pour la dernière fois.‘
(CIORAN 1995, S. 807)
In diesem kurzen, sehr kompakten Aphorismus von Emil M. Cioran, der die Vermittlung des Ichs mit einem anderen Ich über das Lächeln evoziert, zeigt sich eine Haltung zum Lächeln in der Philosophie, wie sie doch so häufig bei den großen Denkern der Vergangenheit zu bemerken ist. Das Lächeln wird als Randphänomen, als Interjektion oder vielmehr als Bild zur Deutung von anderen Phänomenen in Szene gesetzt. Nur allzu selten hat eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Lächeln an sich stattgefunden, die dieses in den Fokus rückt. Symptomatisch sind diesbezüglich die Worte von Helmuth Plessner in seiner zweiten Auflage zum Werk: Lachen und Weinen, wo er argumentiert, weshalb er dem Lächeln im genannten Werk keinen Raum gegeben hat:
Das Lächeln ist eine Ausdrucksweise sui generis: 1. Keimform, Bremsform und Übergangsform für Lachen und Weinen, also mimischer Ausdruck im Umkreis nichtmimischer Expressionen; 2. mimischer Ausdruck ‚von‘ und Geste ‚für‘ eine unübersehbare Fülle von Gefühlen, Gesinnungen, […]; 3. Geste der Maske (keep smiling von Ostasien bis Amerika), die alles und nichts sagt, die repräsentative Gebärde schlechthin, insofern ein Spiegel der Exzentrizität als der uneinholbaren Abständigkeit des Menschen zu sich selbst. (PLESSNER 1982a, S. 206)
Gerade die vermeintliche Vielseitigkeit des Lächelns – so erscheint es zumindest in einem ersten Moment – führte dazu, dass Plessner nebst Lachen und Weinen das Lächeln nicht mehr unterzubringen vermeinte. Er wird im Jahre 1950 einen eigenen Text über das Thema des Lächelns veröffentlichen, worauf später einzugehen sein wird.
Nun stellt sich natürlich zuerst die Frage, ob man das Lächeln überhaupt als Thematik der Philosophie betrachten kann? Zumal wir schon festgestellt haben, dass es sich um einen Gegenstand handelt, der nur von wenigen Philosophen explizit thematisiert wurde. Demgemäß erscheint der Behandlungsgegenstand keineswegs in den Bereich der Philosophie zu fallen, insbesondere dann nicht, wenn man als Gegenstände der Philosophie nur jene anerkennen will, die ohne Weiteres in den einschlägigen Nachschlagewerken zur Philosophie zu finden sind (Vgl. dazu exemplarisch für die Absenz der Thematik: Ritter u. a. 1971-2007, Kirchner u. a. 2005 und viele andere). Dass dieses Vorurteil nicht unbedingt Gültigkeit besitzen muss, haben dann doch häufig die Philosophen selbst immer wieder gezeigt, indem sie die seit der Antike vorgegebenen drei großen Problembereiche – nämlich Ethik, Logik und Physik – in unterschiedlicher Art und Weise behandelt, aber auch erweitert, sie schlussendlich um neue bzw. unberücksichtigte Aspekte ergänzt haben.
Es lässt sich meines Erachtens ein erster Rahmen festlegen, innerhalb welchem sich das Lächeln philosophisch fassbar machen ließe: Ich meine damit einen philosophisch-anthropologischen Problembereich. Die Betonung soll dabei auf „anthropologisch“ liegen. Die Befindlichkeit des Menschen beim Lächeln und möglicherweise die Bedeutung des Lächelns für den Menschen ist einer Betrachtung wert. Im philosophischen Ansinnen geht es grundlegend um die Arbeit am Begriff, um die Schärfung der Begrifflichkeit. Darum soll in diesem Text der Versuch unternommen werden, Grenzen zu setzen für die Betrachtung des Lächelns in der Philosophie, indem ich verschiedene Sichtweisen und Abgrenzungen für das Lächeln zu integrieren versuche, die aus unterschiedlichen Perspektiven diesen Begriff zu beleuchten vermögen.
Grenzen sind grundsätzlich ein Scheidepunkt zwischen einem Innen und einem Außen. Präziser gefasst umschließt die Grenze das Eigene im Gegensatz zum Anderen. Das Andere des Lächelns ist in diversen Phänomenen gegeben, die in der Literatur zum Thema evoziert werden. Durchgängig handelt es sich um die Themen von Komik, Ironie und Witz, aber in erster Linie wohl auch um das Lachen. Hierbei handelt es sich um wesentlich populärere Themen, die in der Geschichte der Philosophie seit Aristoteles thematisiert wurden (Vgl. BERGSON 1999, FREUD 2009, JANKÉLÉVITCH 1985). Gerade den Grenzen zwischen dem Lachen und dem Lächeln kann meiner Meinung nach eine gewinnbringende Erkenntnis abgerungen werden, die sowohl für die Positionierung des Lächelns im Kontext der Philosophie als auch für die Grenzziehung des Begriffs des Lächelns gute Dienste leisten kann, zumal diese Opposition – oftmals leider zugunsten des Lachens – in verschiedenen Untersuchungen diskutiert wurde.
Wenn wir uns dem Lächeln auf einer sprachlichen Ebene annähern, so fällt sofort auf, dass in den unterschiedlichen Sprachen das Lächeln als „Diminutiv“ zum Lachen gebildet wird. Als Beispiele können hierbei die sprachlichen Formen zum Lächeln etwa aus der romanischen Sprachfamilie am besten demonstrieren, wie diese Funktion der Verkleinerung im Sprachlichen seinen Niederschlag gefunden hat: sorridere (ridere) aus dem Italienischen, sourire (rire) aus dem Französischen und sonreír (risa) aus dem Spanischen (in unterschiedlichen Texten haben sich Autoren mit diesem Umstand auseinandergesetzt. Vgl. PLESSNER 1982b, S. 424ff.; VAN HOOFF 2005, S. 211f).
Dies lässt vermuten, dass im Lächeln ein „weniger von“ Lachen enthalten sei, ein Mangel an etwas, das dem Lachen anheim fällt. Könnte dies womöglich im Umstand liegen, dass das Lachen für gewöhnlich von einem auditiv wahrnehmbaren Ton begleitet wird? Ergänzend dazu ist es in verschiedenen Kurzdefinitionen zum Lächeln nicht unüblich, von diesem als einem „lautlosen Lachen“ (Vgl. Wahrig 2012, S. 788) zu sprechen. Das Lächeln lehnt sich nur in der Mimik an das Lachen an, indem die Lippen sich nach außen bewegen. In diesem Sinne wäre also in einer sprachlichen Reduktion von einem schweigenden Lachen zu sprechen. Die Absenz des Tons lässt die Vermutung zu, dass das Lachen der große Bruder des Lächelns sei. Reicht diese Vermutung aber schon aus, um eine erste Grenze zu ziehen?
Dieses Faktum würde natürlich implizieren, dass die Übergänge zwischen dem Lächeln und dem Lachen fließend sind. Tatsächlich muss man eingestehen, dass es Situationen gibt, wo durchwegs aus einem Lächeln ein Lachen wird oder auch vom Lachen ein Lächeln übrigbleibt, jedoch schreibt Helmuth Plessner in diesem Zusammenhang ganz richtig, dass zwar das: „Lächeln […] Anfangs- und Endphase des Lachens sein [kann], es kann auch Lachen vertreten. Eine Vertretung in umgekehrter Richtung freilich ist unmöglich […].“ (PLESSNER 1982b, S. 424). Es ist jederzeit möglich ein Lachen durch ein dezentes Lächeln zu ersetzen, während es nicht möglich ist, ein Lächeln durch ein Lachen zu substituieren. Die Unmöglichkeit der beliebigen Vertauschung der beiden Phänomene verweist auf eine erste Grenzmarkierung. Klar muss dabei sein, dass die Implikation, dass Lächeln immer nur eine schwächere Form vom Lachen darstellt und als solche eine geringere Bedeutung erhält, rein aus einer sprachlichen Deduktion noch zu wenig klar ist, um eine Positionierung des Lächelns in der Philosophie klar zu umreißen.
Eine starke Auseinandersetzung mit dem Thema des Lächelns findet man in der Forschungsliteratur im Rahmen der vergleichenden Verhaltensforschung, der Ethologie. Dort haben sich einige Wissenschaftler intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern das Lachen und das Lächeln sich einerseits in den Kontext von verschiedenen anderen menschlichen Regungen einschreiben (zu nennen sind hierbei vor allem die Arbeiten von Robert R. Provine: PROVINE u. FISCHER 1989, PROVINE 2012), andererseits war aber auch die Frage von Belang, in welchen Kontexten sowohl das Lächeln als auch das Lachen entstehen und ob es einen Zusammenhang bei der Entstehung dieser beiden Phänomene gebe (Vgl. VAN HOOFF 2005, VAN HOOFF u. PREUSCHOFT 1972). Sehen wir uns nun kurz die letzteren Überlegungen zum Lächeln an. In diesem Kontext ist der sprachliche Impetus, den wir bereits kennengelernt haben und wo das Lächeln als Kleinform des Lachens charakterisiert wird, wenig zufriedenstellend (VAN HOOF 2005, S. 276). Aus evolutionärer Sichtweise und im Vergleich mit anderen Primaten als dem Menschen zeigt sich nämlich, dass die Wurzeln des Lächelns einen völlig anderen Hintergrund haben, als jene des Lachens, die oft mit dem Glück und der Freude in Zusammenhang gebracht werden.
Jan A. R. A. M. Van Hooff erläutert diese unterschiedliche Phylogenese der beiden Phänomene mit einigen Belegen. In seinen Überlegungen, die auf Beobachtungen bei Primaten basieren, zeigen sich zwei unterschiedliche soziale Kategorien. Einmal fand Van Hooff eine Entsprechung des Lachens in dem, was er bei Primaten das „relaxed open-mouth“ (VAN HOOFF u. PREUSCHOFT 1972, S. 225f.). Gesicht nennt. Dieses zeigen ein Teil der Primaten sich gegenseitig, wenn es um ein spielerisches Zusammensein geht, das bisweilen auch aggressiv sein oder ein sich Über-den-anderen-lustig-Machen bedeuten kann. Im Gegensatz dazu steht nunmehr das „silent bared-teeth“ (Vgl. VAN HOOFF u. PREUSCHOFT 1972, S. 218ff. und VAN HOOFF 2005, S. 276ff.) Gesicht oder auch die Grimasse. Diese einem Lächeln entsprechende Geste hat nach Aussage der wissenschaftlichen Artikel einen klaren Bezug zur sozialen Rolle der einzelnen Aktanten, wobei diese soziale Rolle von Unsicherheiten geprägt ist. In diesem Sinne ist das „silent bared-teeth“ Gesicht eigentlich ein Zeichen der Unterordnung gegenüber einem anderen Primaten. Damit versucht ein Primat, sich nicht über den sozialen Status des Gegenübers sicher seiend, diesem Gegenüber seine Unterordnung zu signalisieren (VAN HOOFF u. PREUSCHOFT 1972, S. 235f). Diese Unterordnung wird sogar dahingehend interpretiert, dass der Primat damit zum Ausdruck bringt, dass er nicht angegriffen werden will, insofern also auch als Zeichen von Angst anerkannt werden kann (VAN HOOFF 2005, S. 276f.). Verknüpft werden damit sowohl die eigene Einschätzung des sozialen Status als auch ein soziales Verhalten, das beruhigend auf das Gegenüber wirken soll.
Ebenso wird das „silent bared-teeth“ Gesicht mit sozialen Zeichen der Affektion für das Gegenüber zu deuten sein. Oftmals folgt nämlich auf dieses Zeichen eine Umarmung zwischen den Primaten. Hierbei ist erkennbar, dass diesem soziale Verhalten eine Entwicklung inhärent ist: Von einer ersten Form der Unterordnung hat sich besagtes Verhalten hin zu einer Form der sozialen Kontaktaufnahme erweitert. Dies lässt nunmehr durchwegs den Schluss zu, dass nicht etwa das Lächeln aus dem Lachen entstanden ist, noch das Lachen aus dem Lächeln, sondern die beiden sozialen Verhaltensweisen unterschiedliche Bedeutungen zu Beginn innehatten. Der Vergleich mit den Verhaltensweisen der Primaten gibt Zeugnis davon. In den Studien aus der Ethologie wird aber nicht geleugnet, dass im rein menschlichen Kontext das Lachen gleichwohl wie das Lächeln im sozialen Kontext eher mit positiven Gefühlen konnotiert wird und vor allem die ursprüngliche Form der Unterordnung über das Lächeln in der Phylogenese seine Bedeutung verloren hat. Eine rein anthropozentrische Analyse könnte dieser Grenze in der unterschiedlichen Entstehung und Bedeutung von Lachen und Lächeln nicht unmittelbar Sorge tragen. Dies gelingt vordergründig in der Ethologie.
Wenden wir uns jedoch nun verstärkt dem Lächeln in einem philosophischen Kontext zu. Nachdem wir feststellen konnten, dass das Lächeln weder eine abgeschwächte Form des Lachens noch einen gemeinsamen Ursprung mit diesem hat, können wir nun über Helmuth Plessners Interpretation der Phänomene ein starkes philosophisches Moment der Unterscheidung demarkieren. In seinem richtungsweisenden Buch über das Lachen und Weinen erläutert er diese beiden Phänomene als „Ausdrucksformen“ (PLESSNER 1982a, S. 213). Damit meint er das Begreifen dieser Phänomene, indem er den Menschen als Ganzes und eben nicht in seinen Partikularitäten erfassen will (PLESSNER 1982a, S. 223). Somit ist auch die Möglichkeit gegeben, dass Plessner seine anthropologischen Erkenntnisse in die Interpretation von Lachen und Weinen legt. Als Ausgangspunkt nimmt er dabei den Sonderstatus des Menschen, der zugleich ein Körper ist und einen Körper hat, also den Körper als Gegenstand, dann aber im selben Moment auch als Zustand verinnerlicht (PLESSNER 1982a, S. 246 und 373). Demgemäß gibt es nun eine Form der Beherrschung des Körpers und eine Form des Verlusts der Herrschaft über den Körper, eine Form der „Desorganisation“. Dies wiederum entspricht einer Zentrierung und einer exzentrischen Position des Menschen. Zwischen diesen beiden Positionen ist der Mensch vermittelt. Und wo nun schreibt sich das Lachen ein? Nun, es ist für Plessner eine Form des Verlusts der Beherrschung, was den Menschen aber wiederum seiner Menschlichkeit anheimstellt (PLESSNER 1982a, S. 364). Es überkommt einen das Lachen, immer natürlich noch als Form des Körpers, der jedoch die Herrschaft über sich zu verlieren beginnt. Dies geht über die Grenze des Körperhabens hinaus (Weitere und konkretere Erläuterungen dazu findet man z. B. bei LESSING 2015).
Erste Hinweise zu einer Differenz zwischen dem Lachen und dem Lächeln finden sich bereits in diesem Werk von Plessner, wo er etwa schreibt, dass das Lächeln sich im Gesichtsfeld des Individuums anders gibt als das Lachen: „Im Lächeln liegt der Fall anders. Da greift die Expression am Mund an. Im Lachen und Weinen dagegen muß der Mund sozusagen mit, wie die Augen.“ (PLESSNER 1982a, S. 377; Vgl. dazu auch die Ausführungen zur mimischen Ausdrucksgebärde des Lachens im selben Werk: S. 259ff.). Daraus leitet dann Plessner in seinem dem Lächeln gewidmeten Artikel mehrere Unterschiede ab. Er verweist darauf, dass dem Lächeln die „Explosivität“ gegenüber dem Weinen und Lachen fehle. Genauso wenig lässt sich eine „grobe Affektladung“ beim Lächeln erkennen (PLESSNER 1982b, S. 423). Das Lächeln wird als „natürliche Gebärde, zu bestimmten Regungen passend“ (PLESSNER 1982b, S. 426) deklariert. Gerade aber diese bestimmten Regungen bereiten Plessner einige Schwierigkeiten, zumal er feststellen muss, dass es eine sehr große Anzahl von Regungen geben kann, die in Form des Lächelns zum Ausdruck gebracht werden1. Darum widmet er sich dem Lächeln bis zu einem gewissen Grad auch nur auf einer allgemeinen Ebene.
Für Plessner zeigt sich im analysierten Phänomen, dass „Lächeln im Ausdruck zum Ausdruck Abstand wahrt, d. h. den Eindruck einer gewissen Distanz hervorruft, so erlebt das der Lächelnde selbst als ‚ein Verhältnis zu‘ seinem Ausdruck, zu seinem Gesicht.“ Oder etwas später: „Im Lächeln schließlich malen wir unsere Regung, geben ihr Ausdruck im Spielfeld des Gesichts“ (PLESSNER 1982b, S. 427). Es sind eigentlich Nuancen der Lockerung nach Plessner, die sich im Lächeln äußern. Wie zuvor schon erwähnt, sind das Lachen und natürlich auch das Weinen keine mimischen Gebärden. Sie sind im Verlust der Selbstbeherrschung in der Sichtweise von Plessner eigentlich: „Katastrophenreaktionen an Grenzen menschlichen Verhaltens“ (PLESSNER 1982b, S. 431). Im Unterschied dazu steht folgende Aussage: „Im Lächeln dagegen bewahrt er [der Mensch] seine Distanz zu sich und zur Welt und vermag sie, mit ihr spielend, zu zeigen“ (PLESSNER 1982b, S. 432). Der Mensch behält in der Mimik seine Selbstbeherrschung, die immer auch Beherrschung des eigenen Körpers ist. Damit verleiht Plessner nun dem Lächeln einen eigenständigen Status, nicht nur im rein körperlichen, sondern eben anthropologisch-philosophischen Sinne, wenn er das Lächeln zurückverweist auf den beherrschten Körper, der in seiner mimischen Ausdrucksform des Lächelns den Geist im Vollzuge zeigt. Plessner bezeichnet darum auch das Lächeln „als Mimik des Geistes“ (PLESSNER 1982b, S. 430f.). Durch das Lächeln werden die verschiedensten Regungen des Menschen in seiner Gesamtheit in allegorischer Weise, aber eben auch – sprachlich gesehen – schweigender Art und Weise geäußert.
Die Positionierung des Lächelns in der Philosophie als Form der Abgrenzung vom Lachen ist damit nahezu vollendet. Ein Zitat von Friedrich Nietzsche vermag uns das Lächeln als Mimik des Geistes noch eine Spur präziser zu vermitteln. In einem Aphorismus zu „Menschliches Allzumenschliches“ schreibt er im Abschnitt über den Wanderer und seinen Schatten:
„Lachen und Lächeln. – Je freudiger und sicherer der Geist wird, umsomehr verlernt der Mensch das laute Gelächter; dagegen quillt ihm ein geistiges Lächeln fortwährend auf, ein Zeichen seines Verwunderns über die zahllosen versteckten Annehmlichkeiten des guten Daseins.“ (NIETZSCHE 1988, S. 626).
Auch Nietzsche hat sich in seinen Gedanken zum Zusammenhang oder eben dem Unterschied zwischen dem Lachen und dem Lächeln eingebracht. Zeigt nunmehr nicht genau dieses Zitat das Lächeln als Mimik des Geistes? Je stärker selbiger Geist im Menschen aufkeimt, desto mehr nimmt anstelle des lauten Gelächters – und hier kann natürlich an seiner statt auch das Lachen eingefügt werden – ein Lächeln seinen Platz ein. Dieses Lächeln, das sich im Bezug zum eigenen Leben als positiv erfahrenes Dasein äußert. Es ist wiederum nach den Worten von Plessner kein Heraustreten im Lachen aus der Beherrschtheit der eigenen Körperlichkeit, sondern eine Gebärde, Mimik des Geistes, die sich zeigt. Aus dieser Dynamik heraus zeigt sich die größte Differenz zwischen dem Lachen und dem Lächeln. Wir werden wiederum zurückverwiesen auf die Nicht-Substituierbarkeit des Lächelns mit dem Lachen, die wir bereits zuvor herausgearbeitet haben.
Damit nun kann ich zu einer Konklusion übergehen. Der Ausgangspunkt der Fragestellung war die Möglichkeit für das Lächeln in einen philosophischen Diskurs Eingang zu finden. Mehr als verschiedene Abgrenzungen des Lächelns für die Philosophie aufzuzeigen, vermochte ich in diesem Text nicht, jedoch ließe sich meines Erachtens auf der Basis der ausgeführten enjeux konkreter und fundierter auf das besondere Phänomen des Lächelns im Lichte der Philosophie eingehen. Das Lächeln eben nicht als Diminutiv des Lachens, sondern vielmehr als Mimik des Geistes, als Distanznahme zur Welt und gleichzeitig Öffnung hin zum Anderen. Dieser Andere wiederum ist zu verstehen als der andere Mensch, aber auch gattungsübergreifend als das andere Lebewesen, wie die Studien zur Ethologie aufzuzeigen vermocht haben. Schließen möchte ich wiederum mit einem Aphorismus von Emil M. Cioran aus dem oben bereits zitierten Werk – Eröffnung und Öffnung zugleich – abschließen, welcher ganz im Sinne Nietzsches und möglicherweise auch Plessners zu verstehen ist, indem nicht nur der Geist, sondern das Denken als solches in die Nähe des Lächelns gerückt wird: „Chaque pensée devrait rappeler la ruine d’un sourire.“ (CIORAN 1995, S. 754).
BERGSON, Henri (1999): Le rire. Essai sur la signification du comique. – Paris: Quadrige/P.U.F. 1990/101999.
CIORAN, Emil M. (1995): Syllogismes de l’amertume, S. 743-817. In: Ders.: Œuvres, – Paris: Éditions Gallimard.
FREUD, Sigmund (2009): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. – Frankfurt am Main: Fischer Verlag. 1905/32009.
VAN HOOFF, Jan A. R. A. M. (2005): A comparative approach to the phylogeny of laughter and smiling. S. 260-287. In: De Waal, Frans B. M. und Tyack, Peter L. (Hgg.): Animal Social Complexity. Intelligence, Culture, and Individualized Societies. – Harvard University Press.
VAN HOOFF, Jan A. R. A. M., PREUSCHOFT, Signe (1972): Laughter and Smiling: The Intertwining of Nature and Culture S. 209-241. In: Hinde, R. A. (Hg.): Non-verbal Communication. – Cambridge University Press.
JANKÉLÉVITCH, Vladimir (1985): L’ironie ou la Bonne Conscience. – Paris: Flammarion. 1936/1985.
KIRCHNER, Friedrich u. a. (Hgg.) (2005): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. – Hamburg: Felix Meiner.
LESSING, Hans-Ulrich (2015): Lachen und Lächeln in der philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners, S. 182-194. In: Liggieri, Kevin (Hg.): „Fröhliche Wissenschaft“. Zur Genealogie des Lachens. – Freiburg/München: Verlag Karl Alber.
NIETZSCHE, Friedrich (1988): Menschliche Allzumenschliches II. Der Wanderer und sein Schatten (WS-173). In: Colli, Giorgio und Montinari, Mazzino (Hgg.): Kritische Studienausgabe. Band 2. – Berlin/New York: Walter de Gruyter. 1967-77 und 21988.
PLESSNER, Helmuth (1982a): Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens, S. 201-387. In: Ders.: Ausdruck und menschliche Natur. Gesammelte Schriften VII. – Frankfurt am Main: Suhrkamp.
PLESSNER, Helmuth (1982b): Das Lächeln, S. 419 – 434. In: Ders.: Ausdruck und menschliche Natur. Ebenda.
PROVINE, Robert R. u. FISCHER, Kenneth R. (1989): Laughing, smiling, and talking: relation to sleeping and social context in humans. In: Ethology 83, S. 295-305.
PROVINE, Robert R. (2012): Curious Behavior: Yawning, Laughing, Hiccupping, and Beyond. – Harvard University Press.
RITTER, Joachim u. a. (Hgg.) (1971-2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 1-13. – Basel: Schwabe.
TRUMBLE, Agnus (2006): Eine kleine Geschichte des Lächelns (im englischen Original: A Brief History of the Smile, 2004). – München: Elsevier GmbH.
WAHRIG (2012): Wörterbuch der deutschen Sprache. – Gütersloh: Bertelsmann Lexikon.
1 Dieser Umstand findet sich nicht nur bei Plessner. Häufig kommt es in den verschiedenen Kontexten der Untersuchungen des Phänomens „Lächeln“ dazu, dass verschiedene Kategorisierungen vorgenommen wurden. Während Plessner unter anderem vom Lächeln im Zusammenhang mit dem „gemeinsamen Wissen um etwas, Gemeinsamkeit überhaupt, auch in der Form des Getrenntseins wie Triumph und Niederlage, Überlegenheit, Verlegenheit, Demut“, aber auch „der Scham, der Bescheidenheit, Unschuld, des Erstaunens und der Verblüffung, des Wiedererkennens und des Zweifels“ spricht, gleichermaßen aber auch das „irre und blöde Lächeln“, „das Spiel der Gelöstheit auf dem Gesicht des Säuglings“, „friedliche […] Heiterkeit in den Zügen der Toten“ anführt, das Lächeln „der Andacht, Entrücktheit, Verzücktheit, Erlöstheit“ evoziert (alles in: PLESSNER 1982b, S. 428f.), zeigt er sehr genau, wie vielseitige Formen und Regungen es für das Lächeln gibt. Einen anderen Versuch hat Angus Trumble unternommen, indem er folgende Kategorien vorschlägt: das höfliche Lächeln, das unverschämte Grinsen, das kokette Lächeln, Lächeln und Humor, das Lächeln der Vernunft, das stoische Lächeln, das heilige Lächeln, das aufgesetzte Lächeln und das verborgene Lächeln. In: (TRUMBLE 2006, S. 23f.). In meinem Text, wo es im Wesentlichen um die BeGrenzungen zum Lächeln als Kategorie in der Philosophie geht, kann jedoch nicht in der notwendigen Ausführlichkeit auf die Grenzen innerhalb des Lächelns in den begrifflichen Kategorien eingegangen werden.